"Die höchste Summe, die von einem Opfer gezahlt worden ist, betrug 450.000 Euro."

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interview mit Helga Grotheer von Lovescambaiter Forum

Helga Grotheer

Betreiberin eines Romancescambaiter-Forums

Veröffentlicht: 7. Mai 2019

Helga Grotheer betreibt seit Jahren ein Lovescambaiter- bzw. Romancescambaiter-Forum. Im Interview erklärt die Lovescam-Expertin, wie sie Betroffenen helfen kann, welche Betrugsmethoden immer wieder funktionieren und wie es den Scammern gelingt, ihre Betrugsopfer psychisch abhängig zu machen.  



Das Opfer hat meistens schon ein schlechtes Gefühl im Bauch, kann aber, wenn es schon Geld gezahlt hat, meistens nicht aufhören weiter zu zahlen, da ihm immer wieder versichert wird, dass es nur noch ein einziges Mal zahlen muss und dann sein Geld zurück bekommt.

Sie betreiben ein Romancescambaiter-Forum. Was bedeutet "Romancescambaiter" genau und was unterschiedet Ihr Forum von den reinen Scammer-Foren?

Romancescambaiter setzt sich zusammen aus „Romance Scam“ und „-baiter“. Das heißt, wir kümmern uns um Liebesbetrüger und beschäftigen diese. Wir rauben den Scammern Zeit, in dem Moment, wo sie der Meinung sind, uns als Opfer gefunden zu haben. Dann kümmern sie sich mehr um uns und haben nicht so viel Zeit für andere Opfer.


Wie rauben Sie den Scammern Zeit?

Wir stellen ihnen Aufgaben, wir schicken sie auf eine Alpensafari. Das heißt, sie müssen z.B. mit der Seilbahn auf den Pits Glory, sie müssen uns Dokumente vorlegen, Pässe erstellen, Rechnungen, die wir sehen wollen, Kontoauszüge, wenn das Geld nicht angekommen ist und vieles mehr.

Dazu sammeln wir Daten, die wir archivieren und für die Polizei zugänglich machen. Bis hin zur Geldübergabe, wo sie die Polizei dann in Empfang nimmt. Wir schreiben die Scammer nicht an, sondern warten, dass wir angeschrieben werden und versuchen dann den Scammer so lange wie möglich hin zu halten.

Wir sind auch beratend bei TV Dokumentationen tätig, die uns schon öfter bei den Zugriffen begleitet und unterstützt haben.


Was ist der Unterschied zwischen Ihrem Forum und anderen Scammer-Foren?

Die meisten Scammer-Foren beschäftigen sich mit 419, dem Vorschussbetrug. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit den Liebesbetrügern und versuchen den Geschädigten ein offenes Ohr zu leihen, ihnen Hilfestellung zu geben und Fragen zu beantworten. Auch Anlaufstellen zu vermitteln, wo sie Hilfe bekommen, bis hin zur Insolvenzeinleitung, wenn es notwendig ist.


Wie lange besteht Ihr Romancescambaiter-Forum schon und warum haben Sie es ins Leben gerufen?

Unser Forum besteht seit dem 9. August 2009 und ist ins Leben gerufen worden, weil ich selbst auf einen Scammer reingefallen bin. Ich habe zwar kein Geld gezahlt, aber emotional hat es schon mein Herz getroffen.

Ich bin ein Mensch, der keine Ungerechtigkeiten mag und war damals so sauer, dass ich der Meinung war, dass dieses Thema einfach mehr bekannt gemacht werden muss. Mit Hilfe eines anderen Forums ist dann diese Seite entstanden.


Wie helfen Sie von Love Scam betroffenen Menschen?

Wir versuchen als erstes zu beweisen, dass es sich wirklich um Scam handelt, denn das wollen viele nicht wahrhaben. Wir versuchen die Original-Bildeigentümer der geklauten Profilbilder zu bestimmen und suchen Querverweise zu anderen Scams.

Es kann durchaus sein, dass gleiche Bilder auch mit unterschiedlichen Namen auftauchen. Gleiche Bilder heißt übrigens nicht gleicher Scammer. Hierzu sammeln wir Daten wie Bankverbindungen, Namen und Adressen von Geldempfängern, die wir auch der Polizei zur Verfügung stellen.

Auch suchen wir auf Online-Dating-Seiten nach Frauen, die ebenfalls von dem Scammer kontaktiert wurden, indem wir die Profile genau untersuchen, auf Likes der Bilder achten und dann die Frauen anschreiben und warnen. Wir melden Fake-Webseiten an eine Organisation, die in der Lage ist, diese Webseiten zu schließen. Genauso werden die Kontoverbindungen an eine andere Organisation gemeldet. Wir beraten betroffene Frauen und Männer, wo sie für ihre Situation Hilfe bekommen.


Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Polizei?

Wir haben eigentlich sehr gute Erfahrung mit der Polizei, wobei es sich in Deutschland sehr schwierig gestaltet, dass es zu Bundeslandübergreifenden Aktionen kommt. Jedes Bundesland geht anders mit dem Thema Romance-Scamming um.


Love Scam ist ein einträgliches Geschäft. In den Medien werden oft hohe Beträge genannt, welche die Opfer an Love Scammer überweisen – manchmal hört man, dass es ein Millionengeschäft sein soll. Gibt es Zahlen für Deutschland?

Ich kann über genaue Zahlen hier in Deutschland nichts sagen, aber wenn ich von den Summen ausgehe, die im letzten Jahr allein in unserem Forum gemeldet worden sind, dann sind wir bei weit über 3 Millionen Euro.

Die höchste Summe, von der ich persönlich weiß, die von einem Opfer gezahlt worden ist, betrug 450.000 Euro. Das ist kein Einzelfall, der Durchschnitt liegt bei um die 50.000 Euro. Wer drunter liegt, hat Glück gehabt. Die Dunkelziffer ist sehr hoch, da die Scham bei vielen siegt und sie keinem anvertrauen, ob und wieviel Geld sie gezahlt haben.


Die Frage, die sich Außenstehenden bei Love-Scam-Opfern meist aufdrängt, ist eigentlich immer die gleiche: Warum fallen Menschen auf Love Scammer herein?

Wenn ein Geschädigter zu uns kommt (egal ob männlich oder weiblich), sind die meisten voller Scham. Sie trauen sich nicht, mit jemanden aus ihrem Bekanntenkreis zu reden, da sie Angst haben, dass man sagt: „Wie blöd muss man denn sein, dass man darauf hereinfällt und wieso hast du Geld gezahlt? Wie dumm bist du denn?“ - Das hat aber mit Dummheit nichts zu tun, es kann wirklich jedem passieren.


Macht Liebe in solchen Fällen blind – und unter Umständen auch blöd? Oder sind diese Scammer einfach so gut, dass man ihnen auf den Leim gehen muss?

Man ist nicht blöd, nur weil man sich verliebt. Das passiert jeden Tag in jeder Minute, ob im Internet oder in der realen Welt. Es ist nicht schlimm, sich zu verlieben. Und es ist nicht blöd, jemandem zu helfen, den man mag, weil er in einer Notlage ist. Das zeichnet einen Menschen aus und da sieht man, wer ein gutes Herz hat, dafür muss man sich nicht schämen.

Schämen müssen sich die, die einen belogen und betrogen haben und die Geschichte so gut aufgezogen haben, dass es nicht zu unterscheiden ist, ob es echt ist oder Fake.

Das Opfer hat meistens schon ein schlechtes Gefühl im Bauch, kann aber, wenn sie schon Geld gezahlt hat, meistens nicht aufhören weiter zu zahlen, da ihr immer wieder versichert wird, dass sie nur noch ein einziges Mal zahlen muss und dann bekommt sie ihr Geld zurück. Also wird noch einmal gezahlt und dann noch einmal und noch einmal. So kommen dann Summen zustande, die nicht selten im 6-stelligen Bereich liegen.


Gibt es bestimmte Gesellschaftsschichten, die von Love Scam stärker betroffen sind?

Es geht durch alle Schichten ob Professor, Rechtsanwalt, Polizist oder Selbstständige Kauffrau, bis zur Hausfrau und Arbeitslosen. Alle fallen darauf rein, es trifft meistens die Menschen, die ein sogenanntes Helfersyndrom haben. Das heißt, diejenigen die auch ihren besten Freund nicht im Regen stehen lassen würden, gerade diese Menschen werden ausgenutzt und fürs Leben geschädigt.

Das Amiga-Syndrom ist bei diesen hilfsbereiten Menschen auch ganz stark vertreten. Das heißt, das Opfer will gar nicht wahrhaben, dass es auf einen Scammer reingefallen ist. AMIGA steht für:


AMIGA - Aber meiner (mein Scammer) ist ganz anders!

Da muss dann wirklich eine außenstehende Person kommen und das klar zum Ausdruck bringen. Möglichst mit Beweisen, dass die Fotos gestohlen sind, aber auch dann ist es schwer, dass ein Opfer sich von dem Scammer löst. Manches Opfer verhält sich wie ein Süchtiger und die Droge ist der Scammer.


Wie schaffen Scammer es, Opfer süchtig zu machen?

Diese besondere Art der Sucht beginnt meistens schon bei der ersten Antwort des Opfers. Dieses entwickelt eine Sucht nach dem, was jeder Mensch gerne hören und fühlen möchte: Das Gefühl, dass da jemand ist, der sich um einen sorgt, der am Leben teilnimmt, der zuhört und einen versteht.

Und dann, wenn es um das Bezahlen geht, wird dem Opfer ein schlechtes Gewissen eingeredet. Das Opfer fühlt sich schlecht, ihm nicht zu helfen. Denn er könnte ja doch echt sein.

Scammer sind psychologisch perfekt geschult und setzten ihre Opfer extrem unter Druck. Sie benutzen zum Teil Fotos von kranken und verunfallten Kindern, um an das Gewissen zu appellieren oder drohen auch einfach mit Liebesentzug. Wenn alles nicht hilft, kommt zuletzt meistens auch noch die Erpressung dazu, oft mit gefakten Nacktfotos.


Klickt man sich durch die Scammerlisten in Ihrem Forum, so fällt auf, dass die Scammer oft männlich, ansässig im Ausland und vom Alter her zwischen 45 und 55 Jahre alt sind. Welche weiteren Hinweise könnten Singles darauf schließen lassen, dass sie mit einem Scammer bzw. Fake-Profil schreiben?

Ein erster Anhaltspunkt kann sein, dass der Scammer sich als Mann darstellt, der als Kind in Deutschland gewohnt hat und danach mit seiner Familie ausgewandert ist. Nun wohnt er angeblich in Amerika, spricht schlecht Deutsch oder kann nur mit Übersetzter kommunizieren. Meistens sind solche Scammer verwitwet oder geschieden. Vielfach haben sie auch ein Kind und sind immer selbstständig tätig in verschiedenen Bereichen.

Daher gilt: Nehmen Sie das Profil immer genau unter die Lupe, um herauszufinden, ob es sich um einen Scammer handelt. Schauen Sie genau hin!

Die wichtigsten Fragen für den Anfang lauten:

  • Wie lange gibt es das Profil schon? Wurde es erst vor einigen Tagen erstellt? Bei älteren Profilen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie echt sind.
  • Gibt es widersprüchliche Fakten? Achten Sie darauf, wie er sich präsentiert und vergleichen Sie die Fakten, die er über sich erzählt.
  • Wie viele Profilbilder sind sichtbar? Er hat nur ein einziges Profilbild? Dann bitten Sie darum, er möge weitere Fotos schicken.

Dann geht es in die Tiefe: Um sicherzustellen, dass es sich bei den Gesprächen um die gleiche Person handelt, bitten Sie ihn ruhig öfter (und zu verschiedenen Uhrzeiten), das Gespräch per Webcam zu führen. Wenn er vorgibt, keine Kamera zu haben, kann man ihn bitten, in ein Internetcafé zu gehen. Wenn man ihn live und in Farbe auf dem Schirm hat, kann es nicht schaden, einen Screenshot von ihm zu machen.


Romance Scammer sagen relativ schnell, dass sie einen lieben. Sie überspringen die Phase der Verliebtheit und wollen gleich ihr Leben mit einem teilen, manchmal sogar heiraten.

Achten Sie auf die Fragen, die der Scammer stellt. Er wird fragen, wie viel Sie pro Jahr verdienen, weil er nur auf Geld aus ist! Daher zielt jede Frage, die sich auf Geld bezieht, darauf ab, den Prozentsatz des Gesamtbetrages zu ermitteln, von dem er glaubt, dass er ihm "zusteht".

Außerdem wird ein Scammer fragen: "Besitzt du ein Haus?" oder "Welches Auto fährst du?" Sie versuchen damit, den allgemeinen "Wert" eines Opfers festzustellen und ob es eine profitable Investition wäre, "mit jemandem zusammen zu sein".


Welche Betrugsmethode oder Story ist aktuell in Mode, mit der Scammer ihre Opfer ködern?

Die Scammer nutzen die Geschichten vom Soldaten der in den Ruhestand oder Urlaub gehen will, vom Arzt im Krisengebiet, der, um sie zu besuchen einen Ersatz stellen muss , vom Autohändler dessen Autos am Zoll stehen und ausgelöst werden müssen, vom Ölingenieur, der aus der Bohrinsel einen Vertrag hat, wo Maschinen auf einmal kaputt gehen und teure Ersatzteile gekauft werden müssen bis hin zu Überfällen und Krankenhausrechnungen die bezahlt werden müssen ist alles vorhanden.


Sicherlich gibt es auch weibliche Love-Scam-Profile? Wie ist hier das Geschlechterverhältnis? 70 Prozent männliche Fake-Profile zu 30 Prozent weibliche Fake-Profile?

Mit dem Verhältnis 70 zu 30 Prozent kommt es schon ungefähr hin, wobei ich natürlich als Frau immer nur die männlichen Fake Profile sehe und manchmal denke: "Es gibt gar keine echten Männer mehr!"


Wir hatten uns 2012 einmal mit Monica Whitty über Love Scam unterhalten. Damals ging es um Afrikanische Scammer, die Frauen um ihr Geld betrügen und Männer, die von Fake-Frauen aus Osteuropa hinters Licht geführt werden. Ist die Nigeria Connection immer noch der "Marktführer" unter den Romance Scammern?

Ja die Nigeria Connection ist immer noch die Nummer 1, wenn sich Scammer nach Indonesien oder Thailand oder andere Afrikanische Staaten verirren, dann sind es meistens Nigerianer, die ausgewandert sind. Weitere Tatorte: Ghana und neuerdings vermehrt die Elfenbeinküste.

Schon lange wird Afrika aber immer seltener erwähnt und immer weniger werden Zahlungen über Western Union gemacht. Vielmehr werden Zahlungen über Konten in der Türkei (Istanbul gilt hier als Hotspot!), Italien, Spanien, Frankreich, die USA und Deutschland gemacht. In Deutschland werden entweder andere Opfer mit hineingezogen oder die Konteninhaber werden daran beteiligt, Geld weiter zu leiten und bekommen Prozente.

Auszug aus § 261 StGB:
Geldwäsche; Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte

"Wer einen Gegenstand, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen Tat herrührt, verbirgt, dessen Herkunft verschleiert oder die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden, die Einziehung oder die Sicherstellung eines solchen Gegenstandes vereitelt oder gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(…) Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Gegenstand 1. sich oder einem Dritten verschafft oder 2. verwahrt oder für sich oder einen Dritten verwendet, wenn er die Herkunft des Gegenstandes zu dem Zeitpunkt gekannt hat, zu dem er ihn erlangt hat."



Was sollten Online-Dating-Anbieter Ihrer Meinung nach tun, um Love Scam einzudämmen?

Eine Verifizierung mit Ausweis und Abstimmung der IP-Adresse wäre das Wichtigste, um überhaupt Mitglieder zuzulassen.

Parship: Mitgliederschutz durch Sicherheits-Dreisatz

1. Aufklärung

  • Umgang mit persönlichen Daten
  • Seriosität von Kontakten überprüfen
  • Potenzielle Risiken beim ersten Kennenlernen

2. Früherkennung

  • Kundenservice prüft Profile
  • Zweistufiges Anmeldeverfahren
  • Profilscan durch automatischen Filter
  • Profil-Meldebutton, mit dem auffällige und unseriöse Profile von Mitgliedern gemeldet werden können
  • ID-Check

3. Nachverfolgung

  • Wir arbeiten im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen und unterstützen die Polizei bei der Aufklärung.
  • Auf Wunsch vermitteln wir auch Adressen von Beratungsstellen.
  • Grundsätzlich gilt: Wir nehmen jeden Einzelfall sehr ernst und empfehlen den Betroffenen, bei der Polizei Anzeige zu erstatten.


Quelle: Jana Bogatz (Parship)


Sehen Sie riskante Entwicklungen im Sektor des Love Scams?


Ja. Immer mehr Frauen und Männer erklären sich dazu bereit, ihre Konten zur Verfügung zu stellen um darüber Geld weiterzuleiten. Was die wenigsten wissen: Sie machen sich strafbar, denn das ist Geldwäsche!

Was denken Sie, wie sich die Love-Scam-Szene in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird?

Love Scam ist ein einträgliches Geschäft und immer mehr Afrikaner entdecken, dass sie hierfür nur ein Handy brauchen. Ich denke, Love Scam wird ansteigen und sich ausweiten.

Schon jetzt werden nicht nur Dating-Plattformen genutzt, sondern auch Foren für Kochen, Kirchengruppen, Tierschutzgruppen, Businessplattformen und natürlich das gesamte Social-Media-Netz.

 

Liebe Frau Grotheer, herzlichen Dank für dieses spannende Interview. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg mit der Jagd nach Romance Scammern.


Wer hat das Interview "Lovescambaiter Forum" geführt?

Alexandra Langbein arbeitet seit vielen Jahren als Singlebörsen-Testerin und ist unsere Ansprechpartnerin für die Medien.

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