"Im Internet geht es auch ums Pimpen. Da wird gelogen was das Zeug hält. "

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interview mit Ariadne von Schirach von Ariadne von Schirach

Ariadne von Schirach

Buchautorin

Veröffentlicht: 25. April 2007

Die Autorin des Bestsellers "Der Tanz um die Lust" Ariadne von Schirach (28) erklärte uns im Gespräch, warum sich ihrer Meinung nach immer mehr Leute im Internet auf Sexpartner-Suche begeben. In ihrem knapp 400 Seiten starken Buch widmet sich die junge Schriftstellerin der These "Die Fixierung auf Schönheit und Sex plättet jede Erotik". Wir fragten sie, was Singles daraus wohl fürs Online-Dating lernen könnten.



Ich habe noch keine barbusigen Frauen auf Berlins Strassen gesehen.

Frau von Schirach, herzlichen Glückwunsch zu ihrem Bestseller: Knapp 400 bemerkenswerte Seiten zum Thema "Die Fixierung auf Schönheit und Sex plättet jede Erotik" machten Sie zu Deutschlands gefragtester Nachwuchsautorin. Mögen Sie nach zig TV-Auftritten, Radio-Sendungen u.ä. überhaupt noch über Ihr Buch reden?

Was ich geschrieben habe, liegt mir am Herzen, deshalb spreche ich gerne über die Thesen meines Buches. Aber ganz ehrlich - mich interessieren auch viele andere Dinge.


Wir fragen uns natürlich: Verstärkt die Internet-Partnersuche die von Ihnen beschriebenen Probleme (Stichwort: "Single muss sich auf Kontaktanzeigen-Märkten als Hochglanzprodukt verkaufen") oder stellt sie einen Ausweg aus dem Schlamassel dar (Stichwort: "Verliebt in einen Chatpartner, ohne ihn je gesehen zu haben - die inneren Werte zählen wieder")?

Natürlich geht es im Internet auch ums Pimpen, darum, einen guten Eindruck zu machen. Da wird ja gelogen was das Zeug hält. Andererseits wird jeder, der ernsthaft einen Partner sucht, versuchen sich so realistisch wie möglich darzustellen. Denn viele haben sich schon virtuell verliebt und sind enttäuscht worden.

Das heißt auch, dass diese "inneren Werte" nur bedingt tragfähig sind. Man kann sich maßlos in einen Chatpartner verlieben, aber irgendwann will man ihn oder sie auch kennen lernen. Und dann kommt es eben doch darauf an, ob man sich riechen kann. Was nicht heißt, dass es nicht oft zu beiläufigem Beischlaf kommt. Aber die Liebe?


Haben Sie sich im Internet mal auf Partnersuche begeben? Was halten Sie von der ganzen Sache? Wenn ja, verraten Sie ins Ihren Nick? ;-)

Das Internet ist eine großartige Kommunikationsplattform. Ich kenne Menschen, die sich im Netz gefunden und verliebt haben (nachdem sie sich auch in der Realität bezaubernd fanden). Ich selbst bin eher eine Echtzeit-Person.


Weswegen wir Sie eigentlich interviewen: Im letzten Jahr konnten wir eindeutig den Trend feststellen, dass sich Menschen via Internet gezielt zu erotischen Kontakten verabreden. In einer Umfrage von uns gaben 74% der Befragten an, mit mindestens einem Blinddate auch im Bett gelandet zu sein. Denken Sie, dass dies nur eine kurze Modeerscheinung ist, oder sind wir einfach offener und hemmungsloser geworden?

Hemmungslosigkeit ist sicher gerade im Trend; trotzdem denke ich, dass wir ganz allgemein offener und aufgeklärter geworden sind. Abgesehen davon ist Sex mittlerweile ein Statussymbol, etwas, das man um seiner selbst willen anstrebt. 

Und bei Blindates gibt es wohl oft den Moment: Wenn ich schon mal hier bin, mich getraut und mir den Stress gemacht habe, will ich dafür auch was bekommen. Das hat manchmal gar nichts mehr damit zu tun, ob man das Gegenüber begehrenswert findet. Oder wie ein Befragter formulierte: Da muss ich jetzt durch.


Auch Erotikparties finden sich über das Internet in fast jeder Großstadt. Nähern wir uns wieder den Zuständen im Alten Rom an oder haben wir das alles vorher vielleicht einfach nur nicht wahrgenommen?

Das Internet macht vieles sichtbar, das vorher im Privaten stattfand. Das ist sicher eine Wahrnehmungsfrage. Aber Sex ist zum Wert an sich geworden; das führt schon zu einer gewissen Enthemmung.


Im Internet sind rund 500.000 Frauen mit einer Anzeige auf Portalen für erotische präsent, um auf diesem Wege Männer kennen zu lernen - davon rund 200.000 Frauen, die sich nackt in ihrem Profil zeigen. Und damit meinen wir keine "Professionellen", sondern ganz normale Leute von Nebenan.Helfen Sie uns auf die Sprünge: Was motiviert die? Früher hieß es doch immer, dass eine Frau die einen ONS sucht, nur um die Ecke in die nächste Kneipe gehen muss.

Sex ist eben glamourös, das ganz große Ding. Porno ist cool, Entblößung ist geil, je mehr desto besser. Aber ich weiß auch nicht, was diese Frauen motiviert. Diese exzessive Entblößung ist doch nicht mehr erotisch, sondern nur noch banal. Da hat eine massive Werteverschiebung stattgefunden, hin zum öffentlichen Privaten.

Eben - Sex und Sexiness als ultimative Statussymbole. Und das Netz bietet die Möglichkeit, diese vordergründige Begehrenswürdigkeit der ganzen Welt mitzuteilen. Eindeutig ein Vorteil gegenüber der Eckkneipe.


Fotos vom Genitalbereich werden bei den seriösen Sexkontakt-Portalen gesperrt, so dass reichlich Männeroberkörper und Frauenoberkörper zu bestaunen sind. Bisher besagte der gesellschaftliche Konsens: Für Männer okay, für Frauen höchstens am Strand okay. Hat sich das durch die vorangeschrittene Emanzipation geändert, oder ist das eine Erscheinung, die es so nur im WWW gibt.

Was meinen Sie? Ich habe noch keine barbusigen Frauen auf Berlins Strassen gesehen.


Oder ist Erotik-Partnersuche im Internet ein bisschen wie Urlaub: Einfach mal Sachen machen, die man daheim nicht unbedingt leben würde?

Die mögliche Anonymität im Internet senkt die Schamgrenze. Für manche ist das sicher eine Art Urlaub von der Wirklichkeit. Man kann über seine bürgerliche Existenz (Job, Familienstand, Status etc.) lügen, man trifft sich, und dann geht man wieder nach Hause.


Was meinen Sie, ist den Leuten, die sich online exponieren, überhaupt bewusst, dass sie von Arbeitskollegen, Eltern, Tanten, ... entdeckt werden könnten - oder glauben Sie, dass denen diese Risiken gar nicht bewusst sind? Exhibitionismus vs. Dummheit - was liegt vorne?

Tja, gute Frage. Aber diese totale Zugänglichkeit ihrer Daten ist vielen sicher nicht bewusst. Wir haben erschreckenderweise in vielen Bereichen das Gefühl für die Privatheit unserer Daten verloren. Der Konsens lautet: Was ist denn schon dabei? Oder: Da schaut doch eh keiner nach!


Nur mal am Rande: Wenn wir Mädchen, die uns abends über den Weg laufen, davon erzählen, dass wir beruflich Singlebörsen testen, laufen sie meist schreiend davon. Wie reagieren denn Männer auf jemanden wie Sie?

Wie immer.


Frau von Schirach, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!


Wer hat das Interview "Ariadne von Schirach" geführt?

Pamela Moucha arbeitet in der Test-Redaktion und verliebt sich gelegentlich beim Pilzesuchen im Wald.

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